Vom Entstehen und Vergehen: Kār-Tukultī-Ninurta. Eine Studie
Unterprojekt von Kristina Cassar
Das mittelassyrische Reich des 13. Jh. v. Chr. zeigt sich in der Auseinandersetzung mit den keilschriftlichen Quellen der Hauptstadt Aššur und regionaler Zentren als ein hochgradig strukturiertes politisches und administratives System. In diesem etablierten System tritt kurz nach Mitte des 13. Jh. v. Chr. zum ersten Mal keilschriftlich dokumentiert ein Phänomen in Erscheinung – die Neugründung einer Stadt durch den assyrischen König: Kār-Tukultī-Ninurta (modern: Tulūl al-ʾAqar).
In den modernen Ruinen von Kār-Tukultī-Ninurta (nachfolgend: KTN) wurden drei Grabungskampagnen und Teilbegehungen durchgeführt wobei nur ein Bruchteil der archäologischen Evidenz bisher erforscht ist. Ausschließlich im Rahmen der ersten Ausgrabung durch die Deutsche Orient-Gesellschaft vom Oktober 1913 bis März 1914 wurden umfangreiche Textfunde gemacht. Das Textkorpus umfasst ca. 200 Tontafeln und deckt einen knappen und kompakten Zeitraum von ca. zwei Dekaden ab, wurde bisher jedoch noch nicht zusammenhängend ausgewertet.
Schriftzeugnisse aus KTN wurden bereits im Rahmen zahlreicher Untersuchungen zur Verwaltung, Wirtschaft, Gesellschaft, Topographie und Toponymie der mittelassyrischen Zeit sowie zur Grammatik des mittelassyrischen Dialektes exemplarisch herangezogen.
Neben weiteren Veröffentlichungen von Textzeugnissen aus KTN durch Helmut Freydank erschienen in den vergangenen zwei Dekaden editorische Arbeiten und Untersuchungen zu einzelnen sowie thematisch zusammenhängenden Texten, Rechtspraktiken, sprachliche Wendungen und einzelnen Textbelegen sowie zu ethno- und prosopographischen Fragen bzgl. der Personennamen aus KTN. Eben jene Untersuchungen zeigen das Potential weiterer Untersuchungen.
Eine detaillierte Analyse und Auswertung der Textfunde des Ortes und der Informationen hinsichtlich der beiden folgenden Themenkomplexe ist aber ein Desiderat.
(1) Zum einen die Neugründung der Stadt und die damit einhergehende Organisation der Baustelle: Angestrebt wird dabei eine Rekonstruktion der funktionalen und administrativen Organisation der Bautätigkeiten. Dabei stehen v.a. die Prozesse der Gründung, der Baulogistik als auch die mobilisierten Ressourcen – von den Arbeitskräften bis hin zu den Baumaterialien – im Fokus.
(2) Zum anderen die Stadt als Verwaltungszentrum: Die Organisation und Verwaltung der Baustelle „KTN“ als auch die Erschließung der Agrarflächen und Versorgung der Menschen vor Ort gewähren Rückschlüsse auf die Verwaltungsstrukturen vor Ort. Die Schriftfunde bieten Einblicke in die Stadt als Verwaltungseinheit „im Entstehen“ und ermöglichen das Nachvollziehen zu welchem Zeitpunkt die wirtschaftlichen und administrativen Institutionen als funktional in Erscheinung treten.
Daraus ergibt sich eine Neu-Situierung der Stadt: Neu gewonnene Erkenntnisse und Einblicke gewähren eine Schärfung der bisher fachgeschichtlich zugewiesenen Funktionen und Rollen der Stadt und wie sich diese zueinander verhalten.