Springe direkt zu Inhalt

Deutliche Rede – Ewiges Wort. Differenzierung koranischer Textbegriffe in der frühislamischen Philologie und Theologie

Unterprojekt von Dr. Nora Schmidt

 
Bereits während des Verkündungsprozesses des Koran wird die „Deutlichkeit“ oder „klare Verständlichkeit“ (bayān) als ein besonderes Charakteristikum der Rede Gottes hervorgehoben. Die ersten wissenschaftlich etablierten Kommentare zum Koran im 8. und frühen 9. Jahrhundert bauen insofern auf diese Prämisse auf, als sie den Bedeutungshorizont des auszulegenden Textes in Szenarien der Kommunikation ausmachen. Insbesondere den „philologischen“ Korankommentaren (Maǧāz al-Qurʾān, Maʿānī al-Qurʾān, Taʾwīl muškil al-Qurʾān) liegt ein Verständnis vom Koran zugrunde, das dessen Deutlichkeit als ein Argument für die bewusste Ansprache der Menschen „in ihrer eigenen Sprache“ aufgreift und damit das historische Ereignis der Verkündung und die arabische Sprache besonders akzentuiert. Erst die islamische Theologie nimmt im 9. Jahrhundert kontrovers Stellung zum ontologischen Status der Offenbarungsschrift, der nun das Attribut der „Ewigkeit“ oder „Unnachahmlichkeit“ verliehen wird. Da die in moderner Forschung als islamisches „Dogma“ akzentuierte Lehre von der „Unnachahmlichkeit“ (iʿǧāz) des Koran das Stillstellen einer bis dahin funktionalen Wechseln unterworfenen Perspektive auf den Koran als Text darstellt, ist die Errungenschaft der Theologie bislang vor allem mit den Begriffen der Kanon- oder aber der Institutionenbildung beschrieben worden. Im Projekt wird Argumentationsstrukturen und Selbstpositionierungen der arabischen Philologen und Theologen, wie zum Beispiel die zunehmende Kultivierung von Schrift und Büchern in Form des Kodex nachgegangen. Diese lassen erkennen, dass die Differenzierung von „philologischem“ und „theologischem“ Textbegriff keiner autochthonen Gesetzmäßigkeit folgt, sondern dass sie vielfach auf die Erfahrungen benachbarter Hermeneutiken aufbaut oder aber sich bewusst von diesen abgrenzt. Insbesondere die Haltung zu „allegorischer“ oder aber „literaler“ Schriftinterpretation stellt eine Heuristik dar, die eine Kontextualisierung der frühislamischen mit anderen spätantiken Exegesetechniken ermöglicht.