Rhetorik, Logik und biblische Interpretation im exegetischen Werk von Burhān ad-Dīn al-Biqāʾī (st. 1480)
Unterpojekt von Dr. Islam Dayeh
Das Unterprojekt widmet sich dem exegetischen Werk von Burhān ad-Dīn al-Biqāʾī (st. 1480), einem in Kairo und Damaskus wirkenden Gelehrten, der im Laufe von 20 Jahren zwei Kompendien verfasste, in denen seine Kenntnisse über die klassisch-arabische Literaturtheorie und den „muslimischen Hebraismus“, d.h. die islamische Rezeption der hebräischen Bibel, verflochten sind. Im Vordergrund stehen die rhetorischen und hermeneutischen Theorien, aus denen das Werk al-Biqāʾīs sich speist, wie auch sein besonderer Umgang mit den wörtlich zitierten Texten der hebräischen Bibel, die in großem Umfang zum ersten Mal in seinem Werk begegnen. Die klassisch-arabische Schriftexegese stellt eine Form der Interpretation von Literatur dar, in der modern anmutende Konzepte wie Kohärenz, Übersetzbarkeit und Referenz im Zentrum stehen. Allerdings wurde die Frage der „Lesbarkeit“ eines Textes – die Bedingungen, unter denen ein Text verständlich wird – in einer Form gestellt, die heute der Dekodierung bedarf. Das vorrangige Ziel eines klassischen Exegeten wie al-Biqāʾī bestand gewiss nicht darin, einen Text durch Rekonstruktion seiner historischen Bedeutung lesbar zu machen, wenn auch durchaus ein Interesse an historischen und kontextuellen Bedeutungen bestand. Die Lesbarkeit eines Textes sollte vielmehr durch einen kontinuierlichen Prozess der Lektüre erreicht werden, der wiederum durch die traditionelle Praxis schriftgebundener Meditation und Kontemplation (tadabbur) ermöglicht wurde. Die Schrift hat nur dann Bedeutung, wenn die Exegese sich in Übereinstimmung mit den rhetorischen und philosophischen Auffassungen der Gemeinschaft der Lesenden zu einem gegebenen Zeitpunkt befindet. Dies erklärt die Kreativität und die literarische Verspieltheit und Freiheit, die so typisch für vormoderne Auslegungen der Schrift ist.