Momenta des Wunderbaren
Unterprojekt von Falk Quenstedt
Das Unterprojekt untersucht momenta der Konfigurationen des Wunderbaren aus drei Zeiträumen in ihren wechselseitigen Bezügen. Im Mittepunkt stehen: 1) der späthöfische Roman um 1300, insbesondere der Wil(d)helm von Österreich und seine spätere Prosauflösung; 2) Prosahistorien der Inkunabelzeit (1470/80), wie Herzog Ernst, Alexanderroman und Brandan); 3) Vertreter des frühneuhochdeutschen Prosaromans (Melusine, Fortunatus, Faustbuch, Wagnerbuch).
Alle diese Texte stellen die Ferne als Begegnungsraum mit dem Wunderbaren dar und transferieren gleichzeitig Elemente gelehrter Wissenstraditionen in literarische Zusammenhänge. Sie zeigen dabei Verbindungen zu verschiedenen mediterranen Literaturen, insbesondere zu arabischen Erzähltexten. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Texte ist, dass sie eine ‚heidnische‘ (d. h. meist muslimische) Erzählwelt konstruieren, die in engem Bezug zum erweiterten Mittelmeerraum steht.
Das Unterprojekt untersucht die Transferdynamiken einzelner Motive des Wunderbaren im Hinblick auf ihre Veränderungen im Rahmen dieser größeren historischen wie literaturgeschichtlichen transkulturellen Konstellation. Zentral für die Textanalysen wird dabei auch die Frage sein, ob und wie die rhetorische und narrative Konstruktion des Wunderbaren mit ihrer spezifischen Zeitlichkeit in Wechselwirkung zu sozialen, materiellen und medialen Faktoren tritt. Welche Veränderungen sind im Vergleich dieser verschiedenen momenta des Wunderbaren beobachtbar?
In Anlehnung an das übergreifende Forschungsprogramm des Teilprojekts wird danach gefragt, wie das Erzählen im Prosaroman auf Darstellungsformen des Geheimnisvollen setzt und auf Wissensformen des Magischen aufbaut. So zeigen die Prosaromane des 15. und 16. Jahrhunderts ein besonderes Interesse an magischem Wissen und bedienen sich bei dessen Vermittlung verschiedener Mittel der Zurückhaltung und Verrätselung, etwa wenn sie erklärtermaßen den Wortlaut von Zauberformeln verschweigen (Faustbuch, Wagnerbuch) oder die dämonische Identität von Figuren über große Teile der Erzählung hinweg zwar insinuieren, aber nicht aufklären (Melusine). Können Transferdynamiken der momenta des Wunderbaren in Prosaauflösungen früherer Texte – wie dem Herzog Ernst oder dem Wil(d)helm von Österreich – im Zusammenhang dieser Entwicklungen gesehen werden?