Wissen und Erfahrung in den deutschsprachigen Prosaromanen des 15. und 16. Jahrhunderts
Unterprojekt von Peter Baltes
Deutschsprachige Prosaromane des 15. und 16. Jahrhunderts gelten in der Forschung schon länger als Texte, in denen Wissen über die Welt zur Darstellung kommt. Dies zeigt sich unter anderem in dem Begriff ‚historia‘, der in vielen Titeln und Vorreden zu finden ist und mit dem, so die gängige Meinung, ein Anspruch auf faktische Wahrheit des Erzählten erhoben werde, da es sich auf Augenzeugen berufen könne. Diese Betonung der Wahrhaftigkeit des Erzählten findet sich nicht zuletzt dort, wo die Texte von Begegnungen mit Wundervölkern oder –wesen, von sagenhaften Reichtümern und Kostbarkeiten, technischen Wundern, magischen Gegenständen, aber auch religiös konnotierten Wundern berichten. Die aus der Literatur des Mittelalters bekannten Darstellungsformen des Wunderbaren, an welche die Prosaromane anknüpfen, erscheinen durch die diskursive Rahmung als ‚historia‘ als erfahrbare und überprüfbare Fakten. Dies hat in der Forschung zu einer Verengung der Perspektive auf die Frage geführt, welches Faktenwissen in den jeweiligen Texten vermittelt wird. Das Projekt setzt an dieser Stelle kritisch an und fragt, ob mit dem Wunderbaren nicht auch andere Formen des Wissens verknüpft sind, die über die Vermittlung von Tatsachen hinausgehen. Die Begegnungen mit dem Wunderbaren, so die These, stellen eine Möglichkeit dar, verschiedene Aspekte des Wissens zur Darstellung zu bringen. So wird zum Beispiel die Frage diskutiert, wie neues Wissen generiert, oder vorhandenes Wissen überprüft werden kann. Die Aufbereitung von Wissen durch Systematisierung und Institutionalisierung wird mittels des Wunderbaren ebenso vorgeführt wie das Erkennen der Grenzen des für den Menschen Wissbaren. Immer wieder geht es um die Frage nach den Geltungsbedingungen von Wissen. Diese und andere Aspekte werden in den Episoden der Romane in der Begegnung mit dem Wunderbaren durchgespielt, wobei das Verhalten der Figuren in den Vordergrund rückt, die konkreten Wunder hingegen oftmals nur noch als Auslöser für bestimmte Reaktionen der Figuren erscheinen.
Im Rahmen des Unterprojekts werden drei repräsentative Prosaromane des 15. und 16. Jahrhunderts im Hinblick auf das Wunderbare als Konfiguration des Wissens untersucht. Es handelt sich um den Alexander, den der Münchener Arzt Johannes Hartlieb um 1450 aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt und bearbeitet hat, um den Fortunatus, der 1509 erstmals in Augsburg gedruckt wurde und die Historia von D. Johann Fausten aus dem Jahr 1587. Die drei ausgewählten Texte decken somit recht genau die Hauptphase der Entstehung und Rezeption der Prosaromane ab. In allen genannten Romanen spielt die Erfahrung der Welt durch Reisen in die Fremde eine große Rolle, wodurch sich eine Möglichkeit des Vergleichs der geschilderten Elemente des Wunderbaren ergibt. Bei allen Ähnlichkeiten weisen die Romane aber auch große Unterschiede im Hinblick auf das Wunderbare auf, weshalb durch eine Analyse der drei Texte zugleich ein breites Spektrum an Funktionalisierungen des Wunderbaren als einer Konfiguration des Wissens erkennbar werden dürfte.