Exegetischer Wissenstransfer zwischen der Hohelied-Auslegung des Origenes und dem rabbinischen Midrasch Shir HaShirim Rabba
Unterprojekt von Almut Bockisch
Das Buch Hohelied wirkt innerhalb des biblischen Kanons durch die plastische Sprache seiner Liebeslieder erklärungsbedürftig, wenn nicht problematisch. Dennoch wurde sowohl im entstehenden Judentum als auch im sich formierenden Christentum betont an seiner Kanonizität festgehalten bzw. diese niemals infrage gestellt (so beispielsweise: Origenes, Cant. prol. 4,3-4 und mYad 3,5). Erste Hinweise auf Kommentierungen des Hohelieds ergeben sich auf jüdischer Seite aus den Angaben in tSan 12,10 bzw. bSan 101a. Ein erster vollständiger Kommentar mit deutlichem Bezug auf pagan-antike Kommentartechniken wird allerdings erst im 6. Jh. n.Chr. mit dem rabbinischen Midrasch Shir HaShirim Rabba vorgelegt. Der einflussreichste christliche Hohelied-Kommentar der Antike ist deutlich älter; er stammt von Origenes (CPG I, 1431; vgl. die Homilien CPG 1432 und das mutmaßliche Fragment 1434), der die typologische Deutung des Hippolyt von Rom (Hippolyt, Cant. 25,6 [CSCO 263. 264; CPG I, 1871 mit griechischer Paraphrase]) übernahm und christologisch zuspitzte (Origenes, Cant. comm. I 1,5).
Vor dem Hintergrund der Methodologie des SFB ist daher wenig überraschend, dass (weil die exegetischen Wissensoikonomien zwischen den antiken religiösen Gemeinschaften durch reziproke Transferbewegungen charakterisiert sind), sowohl ähnliche als auch gleiche (z.B. MShir 1.7.2; Origenes, Cant. comm. I 1,5) Auslegungen neben betont unterschiedlichen stehen. Sie lassen sich im Horizont des SFB als Negation begreifen; ein schönes Beispiel dafür ist das bewusste Ignorieren genuin christlicher Deutungen des Hohelieds im Midrasch Shir HaShirim Rabba. Die einzelnen exegetischen Wissensmomente, die zur Abfassung bzw. Kompilation der Hohelied-Interpretationen führten, sollen in einer kommentarzentrierten Analyse wie auch einer motivorientierten Untersuchung innerhalb ihrer jeweiligen Kontexte und zugleich in ihrem exegetischen Transfer im Korpus der Hohelied-Kommentierungen als Verhandlung des Bibeltextes analysiert werden und so zugleich auch Aufschluss über die vielfältigen Gesprächsimpulse und Konstellationen des Austauschs zwischen jüdischen und christlichen Gruppen in der Antike liefern.