Springe direkt zu Inhalt

Philosophie und Medizin in den griechischen medizinischen Sammelwerken der Spätantike

Unterprojekt von Dr. Sean Coughlin


Das Unterprojekt untersucht die Beziehung von Philosophie und Medizin in den medizinischen Kompilationen von Oribasios von Pergamon, Aetios von Amida und Paulos von Aigina. Diese Werke überliefern nicht nur sonst verloren gegangene Schriften zur Naturphilosophie (einschließlich Fragmente verloren gegangener Werke des Aristoteles), sondern sie bewahren auch die sich verändernde Dynamik des Wissenstransfers zwischen Philosophie und Medizin zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten. Das Unterprojekt zielt darauf, diese Veränderungen vor dem Hintergrund der diskursprägenden Dynamik einer praxisorientierter Medizin zu verstehen: wie Bedenken hinsichtlich der schriftlichen Überlieferung der medizinischen Praxis (Diät, Therapeutik und Pharmakologie) die Auswahl, Anordnung und den Transfer naturphilosophischer Erkenntnisse innerhalb medizinischer Kompilationen bestimmten.

Das Unterprojekt konzentriert sich auf die Schriften des Oribasios, die in einer oft vernachlässigten Handschrift des vierzehnten Jahrhunderts, dem Codex Parisinus graecus 2237, überliefert sind. Diese Handschrift enthält Auszüge aus Oribasius' Collectiones medicae (Medizinische Sammlungen), die ansonsten verloren sind - die so genannten "libri incerti" oder "unsicheren Bücher". Unter diesen Auszügen befinden sich naturphilosophische und physiologische Schriften von Aristoteles, Diokles von Karystos, Athenaios von Attalia, Rufos von Ephesos und Galen von Pergamon. Diese Auszüge behandeln Themen wie Umwelt und Klima, die elementare Zusammensetzung des menschlichen Körpers und (sich manchmal widersprechende) Theorien der Fortpflanzung und Embryologie, zusammen mit eher praktisch orientierten Diskussionen über Diät und Ernährung. Einerseits unterscheidet sich das Material in dieser Handschrift von dem, was wir in den medizinischen Kompilationen von Aetios und Paulos finden: Während es einige Überschneidungen hinsichtlich praktischer Ratschläge gibt, fehlen bei den späteren Autoren theoretische Überlegungen fast völlig. Die Reihenfolge der Auszüge in dieser Handschrift unterscheidet sich jedoch von dem, was wir aus unabhängigen Quellen über die Reihenfolge der Darstellung in den erhaltenen Schriften des Oribasios wissen, und wurde wahrscheinlich aufgrund einer ausgeprägten praktischen Orientierung des Autors oder der Quelle der Handschrift gewählt. Die Handschrift bewahrt daher zwei Momente des Wissenstransfers: den Transfer des Wissens von der hellenistischen und frühkaiserlichen Philosophie und Medizin zur Spätantike, und den von der Spätantike zum Mittelalter.

Angesichts des komplexen Charakters des Codex Parisinus graecus 2237 und der "libri incerti", die er überliefert, besteht das Ziel der ersten Phase dieses Projekts darin, die Handschrift zu charakterisieren: sowohl in Bezug auf ihre Materialität (Provenienz, Zusammensetzung, Autor, Geschichte und Quellen) als auch auf ihren Inhalt (Themen, Autoren, Exzerptions- und Bearbeitungsstil). Ziel der zweiten Phase ist es, die Auszüge und die Anordnung der Texte innerhalb der Handschrift mit Parallelen aus den erhaltenen Schriften von Oribasios, Aetios und Paulos zu vergleichen. Das Ergebnis dieser Forschung ist ein klareres Bild von der praxisorientierten Wende der medizinischen Schrift und ihrer Behandlung von Naturphilosophie.