Assoziiertes Projekt
Deutsche Mystik in Übersetzung: Die Erfindung einer europäischen Idee
Mit dem Begriff der ‚deutschen Mystik‘ der Frühen Neuzeit wird eine geistesgeschichtliche Bewegung gefasst, die sich mit Autoren wie Hans Denck (d. 1527), Caspar Schwenckfeld (1490–1561), Paracelsus (1493–1541), Sebastian Franck (1499–1542), Valentin Weigel (1533–1588), Jacob Böhme (1575–1624) und Quirinus Kuhlmann (1651–1689) nicht nur durch große Heterogenität und eine Vielzahl von Themen und Ansätzen auszeichnet, sondern die auch bald nach ihrem Auftreten über den deutschen Raum hinaus – v. a. vermittelt durch Übersetzungen und Bearbeitungen – große Strahlkraft und nachhaltigen Einfluss ausübte.
Das Projekt greift den Bereich der Übersetzungen im England der Frühen Neuzeit heraus, wo Autoren mystischer Literatur in sozialen und intellektuellen Netzwerken nicht nur rezipiert und ihre Texte ins Englische übersetzt wurden. Festzustellen ist auch, dass Ideen aus diesen Texten mit einheimischen Ansätzen verbunden wurden, so dass sich eine eigene Tradition bildete (man spricht z. B. von einem ‚englischen Böhme‘ oder ‚Behmen‘) und eine neue ‚mystische‘ Sprache entstand. Was ‚mystisch‘ dabei bedeuten soll – dies ist eine Hauptthese des Projekts – wird auch durch die Rezeption bestimmt, indem Texte unterschiedlicher Autoren in denselben Jahren übersetzt und gedruckt wurden, und sich somit der Eindruck einer kohärenten Strömung vermittelte. Ausgehend von den Übersetzungen soll demgegenüber mit unserem Projekt die Genese dieses Narrativs befragt und die ‚deutsche Mystik‘ als historiographische Rückprojektion und Konstruktion untersucht werden.
Das Projekt zielt auf eine umfassende Erschließung und wissenschaftliche Neubewertung dieser Übersetzungen. Hierzu werden
1. zentrale Übersetzungen und Bearbeitungen mystischer Literatur ins Englische in einem Korpus dokumentiert und durch Kurzbeschreibungen erschlossen,
2. Übersetzungsstrategien in philosophischer und literaturwissenschaftlich-sprachlicher Perspektive mit dem Fokus auf die Übertragung mystischer Terminologie und deren Einfluss auf den philosophischen Transfer untersucht und aufgearbeitet,
3. am Beispiel des handschriftlichen Werks von Dionysius Andreas Freher (1649–1728), einer der zentralen Figuren der englischen Böhme-Rezeption, die Beziehung zwischen interlingualem Übersetzen und visueller Verbildlichung als Mittel für transkulturelle Vermittlung philosophischer Ideen untersucht. Teil dieses Arbeitsbereichs ist die Edition von Frehers „An Explication of Three Very Different Tables“, mit der erstmals der Text in seiner ursprünglichen Konzeption als Text-/Bildtraktat erschlossen und in einer Hybrid-Edition zur Verfügung gestellt wird.
Das Projekt ist Teil des von der DFG geförderten SPP 2130 „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“ und am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin angesiedelt, in enger Zusammenarbeit mit dem Dipartimento di Studi Umanistici, Università di Pavia, Italien.