Mimesis oder Fake? Alternative Zugänge zu Fälschung und Echtheitsdebatten in vormodernen Wissenskulturen
Sechster gemeinsamer Workshop des SFB 933 „Materiale Textkulturen“ (Sprecher: Prof. Dr. Ludger Lieb) und des SFB 980 „Episteme in Bewegung“ (Sprecherin: Prof. Dr. Gyburg Uhlmann)
In der klassischen Antike spielen imitatio (mimesis) und aemulatio in den Praktiken und Theorien von Kunst und Literatur eine zentrale Rolle. Auch in von römischen rhetorischen Modellen kultureller Praxis beeinflussten westlichen mittelalterlichen Kulturen können Nachahmungspraktiken als Norm und Normalform angesehen werden. Die Bedeutung und Verbreitung solcher Praktiken scheint der Idee von Kunst als kreativem schöpferischem Akt zu widersprechen. Umgekehrt scheint sich in Zeiten, in denen Nachahmung (auch) vorbildlicher Werke zum Ideal erhoben wird, das Problem von Fälschungen und Plagiaten nicht oder doch anders zu stellen. Praktiken der Aneignung und der Anverwandlung, des Variierens oder des Interpretierens, des Sich-Einverleibens (der oikeiosis) und des Neukontextualisierens scheinen sich einer Logik des Gegensatzes zwischen genialem Original und bloßer Kopie zu entziehen. Trotzdem finden wir auch im Altertum, in Spätantike und Mittelalter Echtheitsdebatten und Aussonderungspraktiken von als Fälschungen identifizierten Texten oder Objekten. Was als unecht oder dem Autor untergeschoben erkannt wurde, wurde nicht mehr oder doch weniger oder an einem anderen Ort und in anderem Medium tradiert und aus den einschlägigen Textcorpora und Sammlungen ausgeschlossen.
In dem Workshop wollen wir mit den methodischen und begrifflichen Instrumentarien, die im SFB 933 und im SFB 980 entwickelt wurden, versuchen, neue Zugänge zu Fragen der Echtheit und der Kopie in vormodernen Wissenskulturen auszuloten. Dazu wird nach der Rolle der Materialität der Objekte, die nachgeahmt, angeeignet, kopiert oder neu interpretiert werden, und der Produkte des Fälschens und Anverwandelns gefragt: Verändert nicht bereits die individuelle Materialität der Kopie das, was kopiert oder woran sich angelehnt und was nachgeahmt wird, substantiell? Kann es so etwas wie bloße Fälschungen überhaupt geben oder muss dem Produkt nicht immer schon eine Eigenständigkeit und eigene Wertigkeit zugeschrieben werden? Und gibt es Kulturen, die gerade durch die Praktiken des vollendeten Kopierens Innovationen und Wissenswandel hervorbringen – auch weil sich auch das Material in diesen Prozess selbst mit einschreibt? Auch die wissensgenerierende und Wissensbestände verändernde Kraft von Praktiken des negativen Transfers, zu denen auch das Fälschen, also das Identität suggerierende Nachahmen eines Objekts oder Textes gehört, weil dabei immer auch Aspekte dieses Werks reduziert, verändert, ausgelassen oder vergessen werden, soll unter dieser Perspektive betrachtet werden.
Schließlich sollen auch Praktiken des Zweifelns, In-Frage-Stellens und des Streitens für oder gegen die Echtheit betrachtet werden. Können solche Praktiken neues Wissen und Veränderungen in den Wissensbeständen generieren? Und wie wird Zweifel an der Echtheit in Texten oder Objekten markiert und welche Effekte haben solche Auszeichnungen für das tradiert Wissen?
Zeit & Ort
18.10.2019 | 13:00 - 17:00
Sitzungsraum der SFB-Villa
Schwendenerstraße 8
14195 Berlin
Weitere Informationen
Die Veranstaltung ist für SFB-Mitglieder verbindlich. Interessierte Nicht-SFB-Mitglieder melden sich bitte unter info@sfb-episteme.de an.