Tagung der Teilprojekte A06 "Alchemia poetica. Chemisches Wissen und Dichtung um 1600" (Leitung: Prof. Dr. Volkhard Wels) und B06 "Kosmologische Wissensformationen der Vormoderne: Institutionalisierte Metaphysik der Astronomie in den akademischen Netzwerken der Renaissance" (Leitung: Prof. Dr. Jürgen Renn)
Konzeption: Prof. Dr. Volkhard Wels und Dr. Pietro D. Omodeo
Thema der Tagung ist der frühneuzeitliche Aristotelismus an protestantischen Universitäten. Dieser kann im Sinne des Forschungsprogramms des SFB 980 als eine dynamische Wissenstradition beschrieben werden, die durch institutionelle und intellektuelle Neukontextualisierungen, durch Tradierung und Transfer ständig umgestaltet und transformiert wird, gleichzeitig sich aber weiterhin als ein Wissen versteht, das sich im Wesentlichen aus dem Kanon des aristotelischen Corpus ableitet.
Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die Auseinandersetzung dieser Form des Aristotelismus mit dem neuen, aus Beobachtung und Experiment abgeleiteten Wissen von der Natur, wie es in dem Zeitraum von ca. 1550 bis 1650 in den Aristotelismus einzudringen und diesen zu verändern beginnt. Mit diesem Wissen von der Natur sind gleichermaßen Astrologie, Astronomie, Medizin, Psychologie, (Al-)Chemie, Physik und Biologie gemeint, aber auch die Methodologie, das heißt die Logik, Argumentations- und Wissenschaftstheorie in ihrer Anwendung auf das naturphilosophische Wissen. Wir gehen dabei von der Überzeugung aus, dass dieser Aristotelismus keinesfalls ein normiertes und unbewegliches System ist, sondern etwa auf die Herausforderungen des Paracelsismus oder später des Cartesianismus reagiert, genauso wie er auch schon auf die methodologischen Herausforderungen des Ramismus reagiert hat. Wie genau sich diese Veränderungen, Transferbewegungen und Anpassungsprozesse abspielen, als Assimiliation, Transformation, Abgrenzung oder Aneignung, ist ein zentraler Aspekt der Tagung.
Ohne Zweifel hat dabei das Wissen von der Natur in der Frühen Neuzeit eine konfessionelle Dimension. Der Aristotelismus insbesondere erscheint an den protestantischen Universitäten der Frühen Neuzeit im Gefolge des Philippismus, verstanden im weitesten Sinne als die auf Philipp Melanchthon zurückgehende Reform des universitären Curriculums. Dieser Philippismus war keinesfalls nur eine Erscheinung an den theologischen Fakultäten, sondern hat auch das Wissen von der Natur tiefgehend beeinflusst. Aus Wittenberg heraus reicht Melanchthons Einfluss in die Medizin (Daniel Sennert), die (Al-)Chemie (Andreas Libavius), die Physik (Paul Eber) und in die Astronomie (Erasmus Reinhold, Kaspar Peucer). Insbesondere an späthumanistischen Universitäten und Gymnasien wie Rostock, Helmstedt, Frankfurt/O., Kopenhagen, Königsberg, Altdorf oder Marburg bildet sich eine lebendige Tradition heraus, deren Auswirkungen gerade für das Naturwissen allerdings nach wie vor nicht genügend erforscht sind. Sicherlich kann man aber schon jetzt sagen, dass dieses Naturwissen eine mehr oder weniger starke konfessionelle Prägung hat, indem etwa Konzepte der Metaphysik oder Theologie Konsequenzen und Implikationen für das naturphilosophische Wissen haben.
Die aristotelisch-melanchthonische Naturphilosophie kann dabei in einen Gegensatz zu konkurrierenden Wissenschaftskonzeptionen geraten, die ihrerseits wiederum konfessionell aufgeladen sind. Das gilt für die Auseinandersetzung mit dem Ramismus im 16. Jahrhundert und mit dem Cartesianismus im 17. Jahrhundert genauso wie für die Auseinandersetzungen zwischen methodologischem Aristotelismus und der Theologie der Gnesiolutheraner im Laufe des 16. Jahrhunderts. Ähnlich gilt dies für den Gegensatz zu neuplatonisch-hermetischen Wissenschaftskonzeptionen, wobei hier der Paracelsismus an allererster Stelle zu nennen wäre. Erbitterte Kämpfe, wie sie zwischen Thomas Erastus und Andreas Libavius auf der einen Seite und den Paracelsisten auf der anderen Seite geführt werden, sind symptomatisch für das entstehende Konfliktpotential.
Programm
Mittwoch, 21.6.2017Ort: Sitzungsraum, SFB-Villa, Schwendenerstraße 8, 14195 Berlin-Dahlem
15.00 Begrüßung und Einführung
16.00 Volkhard Wels: Melanchthon’s Logic and Rhetoric and the Methodology of Natural Knowledge
17.00 Günter Frank: Zwischen Naturphilosophie und Naturtheologie
18.00 Pause
Abendvortrag
19.00 Barbara Mahlmann-Bauer: Das Ende der astrologischen Prognostik als Wissenschaft
Im Anschluss gemeinsames Abendessen
Donnerstag, 22.6.2017
Ort: MPIWG, Boltzmannstraße 22, 14195 Berlin-Dahlem
Astronomy
9.00 Pietro Daniel Omodeo: The Wittenberg Interpretation of Copernicus: At the Origins of a Tradition
10.00 Kaffeepause
Novae and cometae
10.30 Anna Jerratsch: Aristotelianism in Protestant Conceptions of Comets 1530–1680
11.30 Miguel A. Granada: Bartholomaeus Keckermann and His Discussion with Astronomers on Novas and Comets
12.30 Mittagspause
Alchemy
14.00 Bruce Moran: Defending Aristotle, Constructing Chymia: Libavius, Logic, and the German Schools
15.00 Elisabeth Moreau: “Axioms of mixtures and elements:” Andreas Libavius on the Constitution of the Living Body
16.00 Kaffeepause
Medicine and Natural Philosophy
16.30 Hiro Hirai: Daniel Sennert, Occult Qualities and Renaissance Natural Philosophy
17.30 Bernd Roling: Johann Ludwig Hannemann (1640–1724) und die Verteidigung des Paracelsismus in Kiel
Im Anschluss gemeinsames Abendessen
Freitag, 23.6.2017
Ort: MPIWG, Boltzmannstraße 22, 14195 Berlin-Dahlem
Natural philosophy
9.00 Anne Eusterschulte: Aristotelische Naturphilosophie an der Universität Helmstedt
10.00 Jonathan Regier: Aristotle against the Pope: Reginald Scot’s Vision of Nature
11.00 Kaffeepause
Networks and Institutions
11.30 Maria Avxentevskaya: Protestant Polemics and Natural Knowledge in Stammbuch Networking, 1550–1650
12.30 Mittagspause
13.30 Simon Rebohm: Aristotle at the Academia naturae curiosorum
14.30 Martin Urmann: Die Rekonfiguration von natura und ars in der cartesianischen Rhetorik und die Wissensreflexion in den Preisfragen der französischen Akademien
gegen 15.30 Ende der Tagung
Zeit & Ort
21.06.2017 - 23.06.2017
Villa des SFB 980 und Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin-Dahlem
Weitere Informationen
Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung wird gebeten: protestant_aristotelianism@mpiwg-berlin.mpg.de