Umschreiben / Re-Writing. Materiale und epistemische Dimensionen von Retextualisierung in der Vormoderne
5. Jahrestagung des Sonderforschungsbereichs 980 „Episteme in Bewegung“
gemeinsame Klausurtagung mit dem Heidelberger Sonderforschungsbereich 933 "Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften"
Umformulieren, Umbilden, Transkribieren, Neu Fassen, Verändern, Verbessern, Reduzieren, Überbieten, Adaptieren, Weiterschreiben – diese Praktiken stehen im Zentrum der gemeinsamen Jahreskonferenz der Sonderforschungsbereiche aus Berlin und Heidelberg. Von den Anfängen der Schriftkultur bis in die Frühe Neuzeit sollen die historischen Ausprägungen dieser Praktiken der Retextualisierung, ihre Funktionen und ihre kulturelle Bedeutung untersucht werden.
Der thematischen und methodischen Ausrichtung der beiden Sonderforschungsbereiche entsprechend liegt der Fokus auf zwei Aspekten, die sich wechselseitig beeinflussen: Einerseits soll die materiale Seite des Umschreibens in den Blick kommen, d. h. es wird gefragt, wie an und mit schrifttragenden Artefakten gehandelt wird, wenn das Geschriebene verändert werden soll; das kann durch die Neuanfertigung eines Schriftträgers geschehen oder durch materiale Einwirkung, durch Löschung und Ersetzung von Textteilen, durch Ergänzung von Text oder durch Einsetzen der alten Texte in neue materiale Raumarrangements. Hierbei ist immer auch die Beharrlichkeit und Widerständigkeit des überkommenen schrifttragenden Artefakts zu berücksichtigen.
Andererseits stellt sich die Frage, wie sich insbesondere in kulturellen Umbruchsituationen die Wissensbestände und Wissensordnungen infolge von Retextualisierungsprozessen verändern, mit welchen Mitteln man versucht, diese Veränderung zu verhindern, oder wie aufgrund epistemischer Veränderungen das Umschreiben vorgängiger Texte sinnvoll oder sogar notwendig geworden ist. Auch hierbei sind die Beharrlichkeit des überkommenen Wissens und seine fortdauernde Wirkmacht in neuen kulturellen Situationen zu beobachten. Gegenüber diesem ‚alten‘ Wissen gerät das neue nicht zuletzt auf der Ebene der Textualisierung in einen Austauschprozess und eine produktive Konkurrenz.
Von diesem Kern aus eröffnet das Tagungsthema die Möglichkeit, semantische Verschiebungen und Überlagerungen, aber auch Prozesse des Überschreibens durch Medienwechsel oder die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Vorbild und Abschrift oder Nachschrift, die im Umschreiben erfolgt, zu diskutieren. Nicht zuletzt rückt auch die rhetorische Dimension des Umschreibens in den Blick: Durch das Ausloten unterschiedlicher Figuren der Rede, die dem Umschreiben von etwas dienen wie die Metapher oder die Metonymie, können weitere Dimensionen auch von materiellen Umschreibeprozessen sichtbar gemacht werden, weil auch sie nur scheinbar an der Oberfläche des Textes verbleiben, tatsächlich aber strukturelle Bedeutung für die Ordnung und das Prozessieren von Wissen besitzen.
Wie vielfältig und vielleicht auch typisch sich diese Prozesse der Retextualisierung im Zusammenspiel von epistemischen und materialen Dimensionen gestalten, will die gemeinsame Klausurtagung erforschen.
Planungsgruppe: Ludger Lieb, Jan Christian Gertz, Rodney Ast, Stephanie Lang, Lisa Horstmann, Nele Schneidereit (SFB 933), Gyburg Uhlmann, Andrew James Johnston, Anita Traninger, Klaus Krüger, Tilo Renz, Beate La Sala, Kristiane Hasselmann (SFB 980)
Zeit & Ort
29.06.2017 - 01.07.2017
Landgut Stober, Groß Behnitz bei Nauen
Weitere Informationen
Kontakt: info@sfb-episteme.de