Early Modernities: Aktuelle Debatten zu den Ursprüngen der Moderne
Das Teilprojekt “Early Modernities” will dazu beitragen, die theoretischen und politischen Implikationen der Frage nach der Dynamik vormoderner Wissenskulturen, die dem SFB zugrundeliegt, zu erforschen. Es handelt sich dabei um ein Metaprojekt, in dem ausgelotet werden soll, wie die gegenwärtige Konstruktion und Funktionalisierung der Ursprünge der Moderne sich auf den Befund des vormodernen Wandels von Epistemen stützt. Dabei soll deutlich werden, daß die Fragestellung des SFB nicht nur eine innovative innerwissenschaftliche Perspektive darstellt, sondern zugleich mit grundlegenden Debatten zur Globalgeschichte und darüber hinaus mit politischen Interessen in einer globalisierenden Welt zusammenhängt.
Das Teilprojekt zielt darauf, die Debatte über die Transformation vormoderner Epistemen in den Kontext gegenwärtiger Diskussionen in der Globalgeschichtsschreibung zu stellen und auf diese Weise geschichtstheoretisch und historiographiegeschichtlich einzuordnen. Dabei geht es darum, die seit etwa zehn Jahren intensiv geführten Auseinandersetzungen zur Frage nach den vielfältigen Ursprüngen der Moderne – am Beispiel Asiens – zu rekonstruieren und so zusammenzuführen, daß sie über die Einzelfälle hinaus als übergreifendes globalhistorisches Deutungsangebot wahrgenommen und auf ihre Chancen und Grenzen überprüft werden können. Darüber hinaus soll danach gefragt werden, in welchem Maße diese Diskussionen selbst eine gesellschaftliche Relevanz haben, die über ihre akademische Bedeutung hinausweist – etwa indem bestimmte Akteure und Gruppen den Befund tiefgreifenden epistemischen Wandels in der Vormoderne und das Konzept der early modernities nutzen, um eigene politische Anliegen und Interessen zu verfolgen.
Fragestellungen und Ziele
Die Frage nach der Dynamik vormoderner Wissenskulturen – zumal wenn sie über Europa hinaus gestellt wird – hat das Potential, stillschweigende Annahmen großer Teile der bisherigen Weltgeschichtsschreibung zu hinterfragen und zu unterminieren. Dieses Teilprojekt versteht sich als Metaprojekt, das das gegenwärtige Interesse am Wandel von vormodernen Epistemen – also die Fragestellung des SFB selbst – wiederum kontextualisiert und damit historisiert. Das geschieht am Beispiel von Diskussionen in Asien, wo die These von der indigenen und vormodernen Transformation von Epistemen in aktuelle Strategien Eingang gefunden hat, die Ursprünge der Moderne neu zu denken und von ihren eurozentrischen Annahmen zu befreien. Das Teilprojekt will aber zugleich ausloten, wie diese These – indigener epistmischer Wandel, autochthone Wurzeln der Moderne – wiederum für wissenspolitische und politische Projekte funktionalisiert wird.
In den meisten großen weltgeschichtlichen Synthesen ist die Vorstellung mangelnder Veränderung und epistemischer Stagnation in den nicht-westlichen Gesellschaften der Vormoderne nach wie vor die dominante Lesart. Diese eurozentrische Meistererzählung wird seit einigen Jahren durch die Befunde in den unterschiedlichen Regionalwissenschaften zunehmend in Frage gestellt; stattdessen wird das Potential vieler Gesellschaften zu indigener Entwicklung und zum Wandel hegemonialer Epistemen in den Vordergrund gerückt. Vor allem die Diskussion über „early modernities“ hat dazu beigetragen, die Kulturgeschichte globaler Integration auf eine neue Ebene zu heben. Dabei geht es darum, kulturellen Wandel in nicht-westlichen Gesellschaften verständlich zu machen und zu anderen Regionen – und nicht zuletzt zu Europa – ins Verhältnis zu setzen. Das Konzept der „early modernities“ impliziert eine Herausforderung an den Monopolanspruch des Westens auf die Dynamik von Wissensregimes und auf die Urheberschaft kultureller Modernität, und sie impliziert eine Kritik an einer diffusionistischen Lesart der Globalgeschichte. Vor allem zur Geschichte Ostasiens, Indiens und Südostasiens, aber auch zur islamischen Welt, liegen inzwischen Arbeiten vor, die den Versuch unternehmen, diesen Ansatz zum Ausgangspunkt innovativer und revisionistischer Interpretationen zu machen. In dem Teilprojekt soll die globalgeschichtliche early modernities-Diskussion historiographisch und geschichtstheoretisch aufbereitet werden.
Ein zentraler Aspekt dieser Diskussionen ist die Frage nach der Bedeutung von Transferprozessen für die Transformation von Epistemen. Die Arbeiten, die innerhalb des early modernities-Paradigmas entstanden sind, setzen sich zum Ziel, die kulturelle Stagnationsvermutung in Bezug auf vormoderne asiatische Gesellschaften, die den konventionellen Weltgeschichtsdarstellungen zugrundeliegt, zu überwinden. In ihrer dezidiert anti-eurozentrischen Perspektive könnte jedoch die Tendenz eingeschlossen sein, die innere und damit interne Entwicklung von Gesellschaften zu betonen und Aspekte der Interaktion und des Transfers in den Hintergrund zu rücken. Für das Teilprojekt besitzt die Frage nach dem relativen Stellenwert von Austauschprozessen – von synchronen Verflechtungen im Raum, analytisch zu unterscheiden (wenn auch in der Praxis kaum zu trennen) von intern generierter Dynamik – zentrale heuristische Bedeutung.
Wichtig ist dabei daß diese Diskussionen nicht lediglich im Feld der Wissenschaft geführt werden, sondern selbst Interventionen in gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Deutungsmacht darstellen. Die Deutung vormoderner Wissenskulturen – als stagnierend oder durch epistemischen Wandel geprägt; als abgeschlossen oder in Transferprozesse eingebunden; in regionalen oder globalen Zusammenhängen stehend – wird häufig als wichtiges Argument in gegenwärtigen Auseinandersetzungen und Zielkonflikten eingesetzt. Ansprüche auf „early modernity“ korrespondieren stets mit sozialen, politischen und geopolitischen Interessen in der Gegenwart. In diesem Sinne ist auch die leitende Fragestellung des SFB Teil der hochaktuellen Diskussionen, die in vielen Gesellschaften über indigene Modernisierungspotentiale, über multiple und alternative Modernen, oder gar Alternativen zur Moderne, geführt werden.
Zu den möglichen Fragestellungen gehören u.a.:
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Impliziert „early modernity“ in jedem Fall ein teleologisches Narrativ? Wie stark präfiguriert der Moderne-Begriff bereits die Verschiebungen von Epistemen, nach denen Historiker suchen? Läßt sich kulturelle Dynamik auch jenseits einer Konstruktion als Vorgeschichte deuten, und in welcher Weise?
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Welche Rolle spielen externe Anstöße und Transferprozesse für die Generierung kultureller Dynamik? Gibt es eine Spannung zwischen Deutungen, die synchrone Vernetzung und Austauschbeziehungen in den Vordergrund rücken, und Interpretationen, die autonome und „parallele“ Prozesse betonen?
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Was sind Kriterien für „early modernity“? Kann der Befund kultureller Dynamik und epistemischer Transformationen am Anfang einer Neubewertung von „Modernität“ stehen? Läßt sich aus der Fragestellung des SFB eine Diskussion über die „Provinzialisierung Europas“ (Chakrabarty 2000) generieren, die das Diffusionsnarrativ der Moderne globalgeschichtlich hinterfragt? Welche theoretischen Implikationen haben verschiedene Positionen (kulturelativistische, nativistische, universalistische, verflechtungsgeschichtliche) in dieser Diskussion?
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Gibt es Ansätze, die „early modernity“ ihres normativen Bezugs zur Moderne entkleiden und deskriptiv als Epochenbeschreibung verwenden? Welche konzeptionellen Vorteile hätte ein solcher Zugriff, und welche Kosten?