(Un-)Ideale Orte in der arabischen und deutschsprachigen Literatur der Vormoderne
(16650)
Typ | Seminar |
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Dozent/in | Falk Quenstedt, Dr. Nora Schmidt |
Semester | Wintersemester 2017/2018 |
Veranstaltungsumfang | 2 SWS |
Beginn | 18.10.2017 |
Zeit | Mi 14:00-16:00 |
Kommentar
Gegenstand dieses interdisziplinären Seminars, das im Rahmen des Programms der Forschungsorientierten Lehre angeboten wird, sind arabischsprachige und deutschsprachige Texte des 8. bis 14. Jahrhunderts, in denen (vermeintlich) vollkommene Orte entworfen werden. Es handelt sich dabei häufig um Beschreibungen und Erzählungen von Orten, die zwar zunächst ideal erscheinen, sich aber dann zu Schreckensorten wandeln. Solche ‚(un-)ideale’ Orte figurieren etwa als prunkvolle Städte und Paläste, als sensuelle Naturlandschaften oder auch als vollkommene Sozialgemeinschaften. Texte ganz heterogener Gattungszugehörigkeit imaginieren sie, mithilfe verschiedener Verfahren und zwecks unterschiedlicher Funktionalisierungen: Reisenarrative etwa evozieren das Staunen über ideale Orte und die Wonne ihrer sinnlichen Erfahrung; Parabeln stellen sie in übertragene Sinnzusammenhänge; und philosophische Reflexionen nutzen sie im Rahmen erörternder Beschreibungen. Ein erster thematischer Block des Seminars wird sich unterschiedlichen Voraussetzungen solcher Entwürfe idealer Orte widmen. Sie sind in beiden vormodernen Traditionszusammenhängen wesentlich durch religiöse Wissensbestände geprägt: die Imagination von paradiesischen Orten und spirituelle Reisen an transzendentale Orte stehen in einem produktiven Spannungsverhältnis zu kosmologischen und geographischen Raumvorstellungen (Sphärenmodell, mappae mundi). Statt das religiöse bzw. theologische Wissen von den empirischen Wissenschaften kategorisch zu trennen, können Darstellungen idealer Orte mit historischen Kategorien des Wunderbaren (wie lat. mirabilia oder arab. ʿajāʾib) erschlossen werden, wodurch ein Hinterfragen moderner Grenzziehungen zwischen Wissen und Literatur erforderlich wird. Ein zweiter Block wird dann die Vielfalt von Darstellungen und Funktionalisierungen (un-)idealer Orte in den Blick nehmen. Wir werden hierzu Auszüge aus Texten ganz unterschiedlicher Gattungszugehörigkeit lesen: philosophische Lehrstücke (Ibn Tufail), kosmologische Abhandlungen (al-Qazwīnī), Reiseberichte (Jean de Mandeville), Romane und Erzählungen (Alexanderliteratur, Herzog Ernst, die Messingstadt) sowie Texte, die Offenbarungserlebnisse und transzendentale Reisen (wie die Himmelsreise des Propheten Muhammad) thematisieren. Ein besonderes Augenmerk wird dem Umgang mit Grenzen gelten, nicht nur räumlichen, sondern etwa auch Grenzen zwischen Mensch und Tier oder Pflanze, die in Ordnungen des Monströsen, wie sie häufig in Verbindung mit idealen Orten erscheinen, durchlässig werden. Die beiden thematischen Blöcke werden auf einer initialen Theorielektüre aufbauen, die sich den Themen Transkulturalität und Alterität widmet. Mit ihr soll eine systematische theoretische Grundlage für die Auseinandersetzung mit Entwürfen idealer Anderswelten, verstanden als kulturelle Ausdrucksformen, erarbeitet werden. Die transkulturelle Perspektive wird auch dem vergleichenden Nachvollzug von Entwicklungen innerhalb der arabischen und der deutschen Literaturgeschichte und der Suche nach möglichen Verbindungen zwischen beiden dienen. Das Seminar steht – als eine Kooperation zwischen der Arabistik und der Deutschen Philologie (Ältere deutsche Literatur und Sprache) – Studierenden beider Fächer offen. Von den Teilnehmern werden weder Sprachkenntnisse des Arabischen noch des Mittelhochdeutschen erwartet. Die zu lesenden Texte werden (auch in Übersetzungen) am Beginn des Semesters in einem Reader zur Verfügung gestellt.