Naturwissenschaft oder Philosophie? Ein Überblick über die Naturphilosophie in der Antike von Thales bis Simplikios
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Typ | Vorlesung |
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Dozent/in | Prof. Dr. Gyburg Uhlmann |
Semester | Sommersemester 2018 |
Veranstaltungsumfang | 2 SWS |
Raum | J 27/14 (Habelschwerdter Allee 45) |
Beginn | 17.04.2018 |
Zeit | Di 10:00–12:00 |
Kommentar
Die frühesten wissenschaftlichen Texte, die wir aus der Antike überliefert haben, stellen uns vor eine Reihe von Problemen: Haben wir es hier mit philosophischen Texten zu tun oder mit Naturwissenschaft? Und was meinen wir damit, wenn wir die Autoren als Naturphilosophen bezeichnen? Haben diese Gelehrten, Thales von Milet, Anaximander oder Anaxagoras die Natur studiert und versucht, Wissen über sie zu ermitteln und zu lehren? Oder haben sie über die Natur philosophiert? Gibt es Gemeinsamkeiten mit dem, was wir die Philosophie der Natur nennen oder mit dem, was wir Naturwissenschaft nennen und heute betreiben?
Und dazu kommt die Form der frühen Texte: Bis hin zu Platons Dialogen werden diese Wissenstexte in Versform geschrieben. Sie werden daher auch als Lehrgedichte oder Naturgedichte bezeichnet. Was aber ändert die Form der Texte an deren Anspruch, Wissenschaft oder Philosophie zu betreiben? Und was sagen wir dazu, wenn betont wird, dass der Begriff Philosophie überhaupt erst später – vielleicht von Pythagoras oder seinen Anhängern oder von Platon in der Auseinandersetzung mit Isokrates geprägt wurde
Und noch etwas sehen wir: Die Naturwissenschaftler waren zum Teil auch noch Politiker. Das ist das alte Konzept vom Weisen (Sophos), der sowohl im Wissen als auch im Handeln gut und tugendhaft ist. Oder ist es nur eine (spätere) Erzählung, eine Geschichte, die die Ereignisse in der Frühzeit nach den Vorgaben der Späteren ordnet?
Natürlich gibt es auch eine Zeit nach den Vorsokratikern: Das Wirken des Sokrates und seines Schülers Platons und anderer Sokratesschüler, und die Sophisten des 5. Jahrhunderts, mit denen Sokrates stritt und die sich gar nicht für die Natur, aber sehr wohl für das Wissen und die Politik interessierten. Platon hat mit dem Dialog Timaios, aber auch mit anderen Texten wie dem Sophistes wichtige methodische Pflöcke eingeschlagen. Seine Konzepte wirken indirekt bei Aristoteles weiter und werden explizit von den Neuplatonikern weitergedacht, Mit Aristoteles ist der große Name der antiken Naturwissenschaft genannt. Er hat die verschiedenen Wissenschaften von der Natur – von der sinnlich wahrnehmbaren Natur als ganzes, von dem Sublunaren, von den Lebewesen, ihren Teilen und Arten usw. – als solche überhaupt erst begründet und in ein System aus miteinander korrespondierenden Wissenschaften gefügt. In der Vorlesung wollen wir – ganz ohne Patina von Ursprungsgeschichten – diesen Konzeptionen nachspüren und hören, wie sich Aristoteles mit seinen Vorgängern auseinandergesetzt hat. Weil Aristoteles unsere erste und wichtigste Quelle für die Geschichte der Naturwissenschaft und Philosophie vor ihm ist, entscheidet sich mit der Frage, wie Aristoteles mit diesen Vorgängern umgeht, viel für unsere Perspektive auf Philosophen wie Parmenides oder Demokrit. Hat Aristoteles (Natur)Philosophiegeschichte geschrieben, oder hat er andere Denker im Sinne seines Konzeptes zu seiner eigenen Vorgeschichte erst gemacht und den Bericht über sie ganz aus seinem eigenen Denken heraus geschrieben? Die Quellenfrage begegnet uns dann noch einmal in der Spätantike, wenn wir die Platon- und vor allem die Aristoteles-Komnentare betrachten und untersuchen, welche Texte ihnen noch vorlagen und was wir daraus für Erkenntnisse gewinnen können.
Dazwischen liegen die hellenistischen Entwürfe von der Natur und der Wissenschaft von der Natur, die in jeweils einen neuen Kosmos von Philosophie und Wissenschaftssystematik und einen neuen gesellschaftlichen und kulturellen Kosmos eingebettet sind. So wie bereits im 4. Jahrhundert, so ändern sich auch im Hellenismus noch einmal die institutionellen Zusammenhänge, in denen diese Wissenschaften betrieben wurden.
Die Vorlesung gibt einen Überblick über Stationen, Protagonisten und Methoden der antiken Naturwissenschaft und Naturphilosophie, sie entwickelt aber auch Modelle von Wissenschaft und Philosophie in ihrem wechselseitigen Verhältnis und ihrer Rolle in Politik und Gesellschaft.
Die Vorlesung richtet sich an alle Interessierten. Griechischkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Alle Texte werden auch in Übersetzung präsentiert.
Literaturhinweise und weitere Informationen werden rechtzeitig auf dem Blackboard zur Verfügung gestellt.