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Jewish Medicine in Context(s)

Panel des Teilprojekts A03 „Der Transfer medizinischer Episteme in den ‚enzyklopädischen‘ Sammelwerken der Spätantike“ auf dem EAJS-Kongress, Paris, 24.07.2014

24.11.2014

Teilprojekt A03

Teilprojekt A03

Bericht von Lennart Lehmhaus
 

Auf dem Kongress des Europäischen Judaistikverbandes (European Association of Jewish Studies), der Ende Juli 2014 in Paris stattfand, hat das Teilprojekt A03 "Talmudische Medizin im Vergleich mit den medizinischen Enzyklopädien der Spätantike" (Leitung Phillip J. van der Eijk u. Markham J. Geller) ein ganztägiges Panel veranstaltet. Verantwortlich für die Organisation und Durchführung waren Dr. Matteo Martelli und Dr. des. Lennart Lehmhaus. Bei dem im Vierjahresturnus stattfindenden Treffen wurden in diesem Jahr an der Sorbonne und der Ecole Normale Superieur (ENS) über 700 Vorträge von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt in allen Gebieten der judaistischen, religionswissenschaftlichen, historischen und literarischen Forschung präsentiert. Auf Initiative des SFB-Projekts A03 gab es erstmals auf einem EAJS-Kongress ein ganztägiges Panel zum Thema jüdische Medizin, in dessen Rahmen dreizehn Vorträge unterschiedliche Perspektiven auf das medizinische Wissen in der jüdischen Tradition eröffneten.

Das Spektrum reichte von Traditionen aus der Zeit des zweiten Tempels über einen Schwerpunkt in der rabbinischen Literatur bis hin zu mittelalterlichen Texten und frühneuzeitlichen Konzepten. Unter den Vortragenden, die aus der Europäischen Union, Israel und Nordamerika nach Paris kamen, war die gesamte Bandbreite der aktuellen Forschergenerationen von Doktoranden und Post-Docs bis zu Professoren vertreten. Besonders hervorzuheben ist die Teilnahme des anerkannten Medizinhistorikers Prof. Samuel Kottek von der Hebräischen Universität in Jerusalem (Hadassa Medical School) sowie der beiden ausgewiesenen Expertinnen Prof. Tirzah Meacham (Toronto) und Prof. Carmen Caballero-Navas (Malaga).

Die Sektion begann mit einer Sitzung, die sich auf drei verschiedene medizinische Wissensbereiche konzentrierte und deren theoretische Hintergründe sowie die metaphorische Repräsentation analysierten. Frederico Dal Bo (CIC Berlin) beschäftigte sich mit dem gynäkologischen Phänomen einer deformierten Morphologie (hebr. Sandal/ lat. fetus compressus) im Kontext der Diskussion um Fehlgeburten im Talmud. Anhand verschiedener Passagen aus zwei Talmudtraktaten wurden zunächst die verschiedenen literarischen wie auch metaphorischen Bedeutungsmöglichkeiten präsentiert. Abschließend zeigte F. Dal Bo eine Möglichkeit auf, wie diese ungewöhnliche Bezeichnung mit älteren altmesopotamischen Wissenstraditionen verknüpft sein könnte. Dieser „missing link“ zeige, dass es sich hier nicht um eine einfache medizinische Metapher, sondern um eine allgemeingültigere Definition im Rahmen der Anatomie oder Embryologie handele.

Im Zentrum des Vortrags von Reuven Kipperwasser (Jerusalem/ Stockholm) standen hingegen die Repräsentation und das Verständnis der Physiologie der Sinneswahrnehmungen beim Menschen. Dabei galt das besondere Interesse der für die Lernkultur der rabbinischen Gelehrten so wichtige Fähigkeit zur Memorisierung. Viele talmudische Narrative befassen sich mit Fällen einer fehlenden Erinnerung oder eines Gedächtnisverlustes, der für die Betroffenen innerhalb ihres kulturellen Systems zum Stigma werden kann. Doch es wurde gezeigt, dass es neben den häufig theologisch-moralischen Begründungen, nach denen der Gedächtnisverlust als Strafe für moralische Verfehlungen gilt, auch physiologische Erklärungsansätze gibt. R. Kipperwasser demonstrierte, wie talmudische Traditionen in sehr plastischen Bildern die Verbindungen von den Sinnesorganen (v.a. den Augen und Ohren) mit dem Gehirn und anderen Körperbereichen schildert, in denen Erinnerungen gespeichert werden. Diese Ideen könnten auch durch ähnliche Konzepte in der koptischen Literatur geprägt worden seien. Zudem eröffnet sich hier ein Feld für vergleichende Studien, in dem die Forschung zur griechischen Medizin selbst noch in den Anfängen begriffen ist.

Das Fieber nimmt in der Medizin eine Sonderstellung ein, da es keine Krankheit an sich darstellt, sondern als begleitendes, oft drastisches Symptom bei vielen unterschiedlichen Beschwerden auftritt. Kenneth Collins (Jerusalem/ Glasgow) analysierte in seinem Beitrag verschiedene Bezeichnungen und Beschreibungen von Fieberphänomenen in biblischen und talmudischen Quellen. Im Mittelpunkt der Ausführung stand die Idee, dass einige Fieber keine hippokratische Krankheitskrise bedeuten, sondern vielmehr „nährend“ und daher positiv für den Körper seien, was auf ein Verständnis der körpereigenen Abwehrmechanismen hindeute. Abschließend bot er einen vergleichenden Ausblick auf die galenisch geprägten Fieberkonzepte in der frühen jüdisch-arabischen Medizintradition in Nordafrika (Isaak Israelis Buch der Fieber), die das Wissen des Talmuds mit der griechischen Medizintheorie zusammenführte.

Die drei Beiträge der zweiten Session befassten sich aus sehr unterschiedlicher Perspektive mit dem Kontaktzonen zwischen literarisch-theoretischer Imagination und der medizinischen und sozialen Praxis.

Samuel Kottek (Jerusalem) verglich in seinem Vortrag talmudische Schilderungen von Kaiserschnitten und ähnlichen außergewöhnlichen, chirurgischen Eingriffen mit den Konzepten in der griechisch-römischen Medizintradition. Es ist eine viel diskutierte Frage, ob und wie in der antiken Welt massive Operationen durchgeführt werden konnten, da das Wissen über die tiefen Schnitte sowie die Wundversorgung und Nachsorge im Vergleich nur wenig entwickelt gewesen ist. Insbesondere der Kaiserschnitt galt als ein schwerer Eingriff, der gleich zwei Lebewesen, das Kind und die Mutter, gefährden konnte und daher, wenn überhaupt nur als ultima ratio angewandt wurde. Professor Kottek zeigte anhand von Textpassagen der Mischna (ca. 200 AD), dass die Sektion zur Rettung von Kindern belegt ist, deren Mutter bei der Geburt verstorben war. Dazu lassen sich ebenfalls Parallelen in der griechischen Mythologie (Notkaiserschnitt bei Dionysos und Asklepios), der römischen Geschichte, aber auch in Legenden aus der indischen (der Gott Indra im Rigveda) und persischen Tradition finden, die meist mit der metaphyischen Geburt eines Gottes, Propheten oder Helden verbunden waren. Im Gegensatz dazu verhandelt der babylonische Talmud sehr konkret den Fall des Erstgeburtsrechts von zwei Kindern, von denen eines auf natürlichem Wege, das andere jedoch „durch die Mauer/ Wand“ (jotze dofen) auf die Welt gekommen war. Allerdings scheint diese Diskussion primär einen theoretisch-legalistischen und keinen medizinischen Charakter gehabt zu haben, da auch in den griechisch-römischen oder mesopotamischen Umgebungskulturen keine ähnlichen Fälle zu finden sind. Im Anschluss an seinen eigentlichen Vortrag bot Professor Kottek noch eine sehr informative Zusammenfassung der Darstellung von (kritischen) Geburtsszenen im jüdischen Kontext anhand von Illustrationen, die vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert reichten.

Nach der konkreten chirurgischen Praxis beschäftigte sich Estee Dvorjetski (Haifa/ Oxford Brookes) in ihrem Beitrag mit dem Thema der öffentlichen Gesundheit und Hygiene in Jerusalem bis ca. 70 AD, wie sie sich in talmudischen und weiteren rabbinischen Beschreibungen finden. In einem ersten Teil wurden die verschiedenen Regularien zur öffentlichen Gesundheit mit dem Bezug zum Tempelbezirk dargestellt. Dieser Bereich hatte einen besonderen Heiligkeits- und Reinheitsstatus, war jedoch durch die zahlreichen Opfer und die vielen Menschen (Priesterklassen, Zulieferer, Pilger und reguläre Besucher) ein neuralgischer Punkt für die Hygieneproblematik. Im zweiten Teil ging es dann um die öffentlichen Gesundheitsregeln für die gesamte Stadt, insbesondere die Müllentsorgung, Seuchenvermeidung und Regeln für bestimmte Berufsgruppen. Die abschließende Synthese diskutierte die Verbindungslinien zwischen dem sozialen Alltag, dem normativen Konstrukt des religiösen Gesetzes und der Idee des besonderen Status’ Jerusalems als heilige und daher auch ideale Stadt in allen öffentlichen Belangen.

Der letzte Beitrag von Aviad Recht (Tel Aviv) verhandelte das Gebiet der Anweisung zu einer gesunden Lebensweise (gr. Dieita), ausgehend von seinem Dissertationsprojekt (The Regimens of Health oft he Sages). Im ersten Teil seiner Ausführungen ging Recht auf die bestechenden Parallelen zwischen solchen Lehren in talmudischen Texten und in der hippokratischen und galenischen Medizintradition ein. Diese erschöpfen sich nicht in ähnlichen Inhalten, sondern zeigen sich ebenfalls in den literarisch-rhetorischen Formen. Demnach handele es sich vorwiegend um kurze Aphorismen, die medizinisch-rational argumentierten und keinen Gebrauch von magischen Elementen machten. Jedoch wurden im zweiten Teil ausführlich auch die Unterschiede zwischen beiden Traditionen aufgezeigt. Recht erklärte diese sozio-historisch. So sei etwa die Abwesenheit von zeitintensiver Gymnastik und außergewöhnlichen Nahrungsmitteln in den rabbinischen Passagen auf andere sozioökonomische Gegebenheiten (griechische Elite vs. breite, arbeitende Bevölkerungskreise) zurückzuführen.

Die dritte Sitzung bestach durch besondere Kohärenz, die sich nicht nur am chronologischen Fokus auf mittelalterlichen Traditionen vom 8. bis zum 13. Jahrhundert zeigte. Vielmehr machten alle drei Beiträge deutlich, wie sich im Mittelalter im jüdischen Kontext, ausgehend von den biblisch-talmudischen Traditionen und unter dem Einfluss zahlreicher Umgebungskulturen (arabisch, persisch, indisch, zentralasiatisch) ein eigenständiges Genre medizinischer (meist hebräischer) Literatur herausbildete.

Ronit Yoeli-Tlalim (London) stellte mit dem Sefer Assaf (Buch des Assaph) oder Sefer Refu’ot (Buch der Medizin) das erste Werk und damit die Geburtsstunde dieser neuen Literaturgattung vor, die höchstwahrscheinlich in die frühislamische Zeit zu datieren ist. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf den Transfer von medizinischen und anderen Wissenskomplexen (Astronomie/ Astrologie/ Mathematik etc.) von Indien und Persien nach Westen gelegt. Hier konnte R. Yoeli-Tlalim aufzeigen, wie insbesondere der multi-ethnische und polyglotte persische Kulturraum eine zentrale Stellung bei der Vermittlung zentralasiatischer (Indien/ Tibet/ Mongolei) Wissensbestände und Traditionen einnahm. Das Sefer Assaf schöpfte aus diesen reichen Quellen und verband dort vorgefundenes Wissen mit medizinischen Konzepten, die dem Autor/ den Autoren über die griechisch-syrischen Übersetzungen zugänglich war.

Auch der zweite Vortrag von Tamas Visi (Olomouc) widmete sich dem Sefer Assaf, jedoch mit dem Fokus auf die Uroskopie, also einem Spezialgebiet der Medizin, das sich der diagnostischen und prognostischen Analyse des Urins widmet. Die fünf einschlägigen Passagen weisen auf unterschiedliche Entstehungszeiten sowie eine multiple Autorschaft hin. Visi konnte demonstrieren, dass die Autoren in den unterscheidbaren Clustern zur Uroskopie verschiedene Wissensbestände rezipiert haben. Dabei wurden Ideen aus den hippokratischen Aphorismen und dem Prognostikon in drei Passagen integriert und modifiziert, die dann der Figur des „Assaf“ zugeschrieben wurden. Eine Textsammlung, die von einem „Jochanan“ verfasst worden sein soll, hält sich strikt an eine frühbyzantinische, pseudo-galenische Quelle, was auch anhand der methodologischen Innovationen der Uroskopie deutlich wird. Eine wichtige Brückenfunktion für den Transfer in die hebräische Medizinliteratur vermutet Visi zudem in den enzyklopädisch anmutenden Schriften des syrisch-christlichen Gelehrten Shimon de-Taybute aus dem siebten Jahrhundert.

Der letzte Beitrag behandelte die Anfänge gynäkologischer Texte in der jüdisch-hebräischen Tradition des Mittelalters und ihre (Nicht)Beachtung im Zuge eines Professionalisierungsprozesses der Medizin. Carmen Caballero-Navas (Granada) bot zunächst eine sehr gelehrte Einführung in die Überlieferungsgeschichte gynäkologischen Wissens von der arabischen Literatur auf zwei Hauptwegen (Andalusien/ Italien), oft über das Lateinische, ins Hebräische. Der Vortrag konzentrierte sich hierbei auf das Werk Sefer ha-Yosher (Buch des Aufrechten), das ein sehr gelehrter, jedoch anonymer jüdischer Autor in der Provence im ausgehenden 13. Jahrhundert als medizinische Enzyklopädie verfasste. Anhand von Zitaten zeichnete der Vortrag nach, auf welche früheren arabischen, lateinischen und hebräischen Werke der Verfasser in welcher Weise zugriff. Dabei stellten sich insbesondere die Zitierweisen, Kürzungen und Auslassungen oder die Adaption und das Neuarrangement als wichtige Indikatoren für Transferprozesse heraus.

Im zweiten Teil der Präsentation ging es um die Frage der möglichen Adressaten und Tendenzen der Marginalisierung gynäkologischer Traditionen. Während einerseits eine gewisse Scheu vor der Tradierung gynäkologischer Passagen bei vielen Autoren vorgelegen habe, sei es auffällig, dass in nahezu jedem medizinischem Werk jüdischer Autoren längere Sektion zu diesem Gebiet zu finden sind, obwohl die praktische Relevanz für den männlichen Arzt gering gewesen zu seien scheint. Dieses Wissen könnte demnach bereits in eigenständigen Sammlungen (Sitrei Naschim / Frauengeheimnisse), ähnlich dem Compendium der Trotula aus Salerno, in den jüdischen Kulturen Südeuropas vorgelegen haben.

Die abschließende vierte Sitzung bestand aus zwei Vorträgen zu talmudisch-rabbinischem Wissen über Medizin und einer theoretisch-methodologischen Reflektion des Panels durch die Organisatoren.

Die an der Columbia University bei Prof. Seth Schwartz promovierende Shulamit Shinnar (New York) begann ihren Vortrag mit einigen methodologisch-theoretischen Reflektionen zu "Rabbinic Attitudes towards Other Ancient Medical Traditions". Denn in der rabbinischen Literatur finden sich kaum offensichtliche theoretische Reflektionen zur menschlichen Anatomie und Physiologie. Daher müssen solche Konzepte aus der Analyse narrativer Passagen rekonstruiert werden. Diese müssen jedoch in ihrem jeweiligen literarischen und diskursiven Kontext betrachtet werden. Als Beispiel präsentierte S. Shinnar die Lektüre einer Passage im babylonische Talmud über die Kindsentwicklung im Mutterleib. Im Kontext der Reinheitsgebote diskutieren hier die Rabbinen, nach wie vielen Tagen sich beim Ungeborenen die Unterscheidung des Geschlechts feststellen lässt. Die Begründung über religionsgesetzliche und biblische Beweise wird hier mit quasi-wissenschaftlichen Methoden, nämlich der Vivisektion an schwangeren Sklavinnen in Ägypten, kontrastiert. Dabei lassen sich komplexe hermeneutische Aushandlungsprozesse und Strategien der Abgrenzung beobachten, die Autorität und epistemologischen Hierarchien thematisieren.

In Tirzah Meachams (Toronto) Vortrag ging es ebenfalls um Abgrenzungsprozesse und Hierarchiefragen, die anhand von gynäkologischem Wissen, in talmudischen Texten (Mischna/ Tosefta/ Talmud) diskutiert wurden. So wurde beschrieben, dass talmudische Gelehrte gemeinhin der ärztlichen Profession und ihren Vertretern kritisch bis abneigend gegenüber standen, was sich durch eine Konkurrenzsituation beim Expertenwissen erklären lasse. Allerdings zeigen viele Passagen, dass die Rabbinen immer wieder auf ärztliche Autorität und medizinische Expertise zurückgriffen, wenn diese ihnen für religionsgesetzliche Entscheidungen nützlich erschien. T. Meacham zeigte in einer diachronen Analyse auf, dass gerade im Bereich der Reinheitsgebote oft eine Offenheit für medizinische Begründungen in frühen Traditionen (Mischna/ Tosefta) vorliegt, während die späteren Kommentare in den Talmudim dieses Wissen stark einschränken oder ganz ablehnen.

Der letzte Vortrag des gesamten Panels wurde von den beiden Initiatoren und Organisatoren, L. Lehmhaus und Matteo Martelli (SFB 980/ Berlin), bestritten. Der Beitrag griff bewusst, vor allem in der anschließenden Diskussion, auf die verschiedenen Vorträge des Tages zurück, um diese entsprechend zu kontextualisieren. Im Mittelpunkt standen in beiden Hälften methodologische und theoretische Überlegungen, die aus der gemeinsamen Arbeit im SFB-Projekt zum medizinischen Wissen in spätantiken Sammelwerken entwickelt wurden. Hierbei ging es vor allem darum, die synchron-komparatistische und die diachron-historische Perspektiven der eigenen Forschung herauszuarbeiten. Sowohl bei den frühbyzantinischen Enzyklopädien (Oribasius/ Aetius/ Paul) als auch im Talmud sind die Transmissions- und Adaptionsprozesse von medizinischen Epistemen noch wenig erforscht. Dabei bietet eine strukturelle Analyse von literarischen und kompositorischen Strategien der Selektion, Organisation und Darstellung von Wissenskomplexen eine Ausgangsbasis für vergleichende Studien.

  

Conclusio zum Wissensgewinn

Das Panel zu jüdischen Medizin gehörte auf dem großen Kongress mit seinen diversen Angeboten zu den gut besuchten mit konstanter Zuhörerschaft. Großes Interesse zeigten insbesondere viele Kollegen, die sich an den vorangegangenen Tagen in den ebenfalls gut besuchten Sektionen zur Magie und zu den Wissenschaften umgehört hatten. Diese Konstellation führte dazu, dass es bei allen Vorträgen zu sehr lebendigen Diskussionen kam, an denen sich viele Fachkollegen, darunter ausgewiesene Experten, aus dem Publikum beteiligten und wichtige Denkanstöße gaben.

Die Beiträge des Panels spiegelten sowohl die methodische als auch thematische Breite wider, in der sich die Forschung zur Medizin in der jüdischen Tradition bewegt. Die starke interdisziplinäre Ausrichtung des noch jungen Forschungsfelded wurde durch die Verknüpfung philologischer, narratologischer und redaktionskritischer Methoden mit Ansätzen aus den Kulturwissenschaften, der Wissensgeschichte und der Sozialgeschichte deutlich. Das Panel eröffnete somit einen zukunftsweisenden Dialog sowohl zwischen Forschern, deren Arbeit sich mit der medizinischen Seite des Wissenstransfer und der jüdischen Adaption befasst, als auch mit Kollegen, deren Studien weitere mit der Medizin verbundene Wissensbereiche (Astrologie/ Metereologie/ Kalenderkunde/ Biologie etc.) in den Blick nehmen. Es ist von Seiten der Organisatoren geplant, die Vorträge des Panels mit weiteren eingeladen Beiträgen in einem Sammelband in einem wissenschaftlichen Fachverlag zu veröffentlichen.

Lennart Lehmhaus, SFB 980/ A03 (lennart.lehmhaus@fu-berlin.de)

 

Übersicht der Beiträge

Panel „Jüdische Medizin“, European Association of Jewish Studies, Xth Congress, Paris; ESN, Rue d’Ulm, 24.7.2014, 9-18 Uhr (Organisation: L.Lehmhaus/ M.Martelli – SFB 980 "Episteme in Motion", Berlin)

1. Session

Federico Dal Bo (Berlin), A Fetus Shaped like a “Sandal”.
Reuven Kiperwasser (Jerusalem), The Cure of Amnesia and the Metaphoric Physiology of Memory.
Kenneth Collins (Jerusalem/ Glasgow), The Fever that Nourishes: the Purpose of Fever in Rabbinic Texts.

 2. Session

Samuel Kottek (Jerusalem), Caesarean Section in the Talmud and in Greco-Roman culture: A renewed examination.
Estee Dvorjetski (Haifa), Public Health in Jerusalem according to the Talmudic Literature: Reality or Vision?
Aviad Recht(Tel Aviv), 'The Regimens of Health of the Sages' - Hellenistic Medical Genre as Processed by the Sages.     

3. Session

Ronit Yoeli-Tlalim (London), Asian Lore in the Hebrew Book of Asaf.
Tamas Visi (Olomouc/ Jerusalem), Uroscopy in Sefer Assaf.
Carmen Caballero-Navas (Granada), Women’s Secrets: An Assessment of the Early Stage of the Foundation of Hebrew Gynaecology.                    

4. Session

Shulamit Shinnar (New York), The Experiments of Cleopatra: Rabbinic Attitudes towards Other Ancient Medical Traditions.
Tirzah Meacham (Toronto), Physicians, Expertise and Halakha: Are Purity Issues Different?
Matteo Martelli/Lennart Lehmhaus (Berlin), Transfer of medical knowledge in Late Antique encyclopaedic traditions – a preliminary survey.